Schriftpsychologie – Teil 01: Die Serife

Es ist schon verrückt, wie sehr die Wahl einer bestimmten Schrift ein Branding bzw. einen Markenauftritt verändern kann. Daher ist es unheimlich wichtig, sich mit unterschiedlichen Schriften und ihren Wirkungen auseinander zu setzen, wenn man ein (Re-)Branding plant.

Als erstes muss einem natürlich klar sein, welche Emotionen und Werte man mit seiner Marke auslösen bzw. ausdrücken möchte. Soll es also eher in die klassisch-elegante Richtung gehen, in die modern-klare oder kindlich-verspielte? Jenachdem, welche Zielgruppe man ansprechen möchte und welche Inhalte meine Marke vertritt, muss ich eine (oder mehrere) entsprechende Schriften wählen. Denn jede Schrift löst beim Betrachter bestimmte Emotionen aus – widerspricht diese der Markenbotschaft wird das als unangenehm oder unpassend empfunden.

Und weil es nicht so einfach ist, sich im „Schriften-Dschungel“ zurecht zu finden, gibt es hier den ersten Teil meiner kleinen Reihe zu Typografie und Branding. Los geht’s mit dem „Klassiker“ unter den Schriften: Den Serifen. Aber erst einmal hier eine Übersicht über die unterschiedlichen Schriftklassen:



Was macht die Serife aus?

Eine „Serife“ ist vor allem gekennzeichnet durch kleine „Füße“ (die Serifen). Diese entstanden ursprünglich durch die mit Pinseln oder Spateln vorgezeichneten Buchstaben auf römischen Stein-Monumenten, die dann durch eine immer weiter verfeinerte Meißeltechnik auch ins Relief übertragen werden konnten. Ein weiteres Kennzeichen der Serife sind unterschiedliche Strichstärken. Auch diese entstanden zuerst durch das (Vor-)Schreiben mit Pinsel, Spatel und Feder.
Diese beiden Besonderheiten des Materials bzw. des Werkzeugs wurden zu Prinzipien der künstlerischen Gestaltung, die dann auch bei Druckschriften und bis heute in der Computer-Typografie beibehalten wurden.

Berühmte Serifenschriften

Wer heute durch seine Schriften auf dem Computer scrollt, der ist sich vielleicht gar nicht bewusst, dass er auf seinem PC oder Mac knapp 550 Jahre alte Typografie gespeichert hat. Echt jetzt. 550 Jahre. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Denn viele der Schriften, die wir heute selbstverständlich im digitalen Zeitalter benutzen wurden seit der Renaissance von Schriftschneidern und -gießern für den Buchdruck entwickelt.

Garamond

Von Claude Garamond (1480-1561) gestaltete Schrift basierte auf den Entwürfen Pietro Bembos, die Garamond weiter entwickelte und vor allem leichter und eleganter machte. Mit seinem Ruf als außerordentlich talentierter Schriftschneider brachte Garamond es bis zum königlichen Schriftgießer am Hof König Franz I. und prägte mit der „Garamond“ den Buchdruck der nächsten Jahrhunderte.




Caslon

William Caslon (1692-1766) begründete nach der bereits erfolgreichen Arbeit an einigen Projekten 1725 seine eigene Schriftgießerei und vermarktete die von ihm entwickelte „Caslon“ vor allem als Alternative zu den niederländischen Schriften, die bislang den englischen Markt beherrscht hatten. Mit seinen Schrift-Musterblättern für Druckereien konnte er seinen Kundenkreis immer weiter ausdehnen und war auch in den USA außerordentlich erfolgreich: Der Erstdruck der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde beispielsweise mit dieser Schriftart gedruckt und Caslons Schriftgießerei bestand noch über 200 Jahre lang.



Baskerville

Nee, hier gehts nicht um den Hund von Baskerville, sondern um John Baskerville (1706-1775), dessen Schrift vor allem durch die Prunk-Edition von Miltons „Paradise Lost“ (1758) berühmt wurde. Im gleichen Jahr wurde Baskerville zum Direktor der „Cambridge University Press“ ernannt und erregte vor allem mit Klassiker-Ausgaben, aber auch mit dem Druck des englischsprachigen Neuen Testaments europaweit Aufmerksamkeit.




Bodoni

Giambattista Bodoni (1740-1813) war königlich-spanischer Kammertypograf, herzoglicher Drucker in Parma und führte daneben auch seine eigene Privatdruckerei. Bodonis Weltruf gründete sich dann vor allem auf seinem postum erschienenen „Manuale Tipografico“, einem Handbuch zur Buchdruckkunst mit Hunderten verschiedenen Alphabeten und Vignetten.
Alle großen Schriftgießereien haben bis zum Ziel, ihre eigene „Bodoni“ im Sortiment zu haben. Weltweit existieren daher bis heute mehr als 500 verschiedene Bodoni-Varianten.




Times New Roman

Wer kennt sie nicht, die „Times New Roman“? Wahrscheinlich die bekannteste Serifenschrift der Welt und mein „Go-to“, wenn ich Kundinnen erkläre, was eine Serife ist. Denn wenn man diesen Namen hört, macht es sofort „Klick“.
Aber die wenigsten kennen den Menschen hinter der „Times“: Stanley Ignatius Arthur Morison (1889-1967). Er hatte lautstark die Typografie der Londoner „Times“ kritisiert und wurde vom Geschäftsführer der Zeitung eingeladen, als deren typografischer Berater am neuen Design zu arbeiten. Nachdem Morison einige existierende Schriften ausgetestet hatte und für nicht geeignet hielt, erarbeitete er auf der Basis der „Plantin“ eine neue, moderne Serifenschrift für den Mengensatz. Ihren ersten Einsatz hatte sie in der „Times“ vom 03.10.1932 und ist inzwischen die Standard-Serifenschrift.


Serifen im Branding



Gerade weil Serifenschriften eine so lange Geschichte haben und uns immer wieder im historischen Kontext begegnen, verbinden wir damit unbewusst die Schlagworte „klassisch“, „elegant“, „luxoriös“ und „traditionell“. Marken wie Mercedes Benz, Lancome oder Modezeitschriften wie die „Vogue“ greifen daher auf Serifenschriften zurück, um ihre Markenaussage zu unterstützen.

Aber auch dann, wenn eine Marke zugänglich, warm und einladend wirken soll, sind Serifenschriften eine gute Wahl. Serifenschriften sind oft visuell etwas interessanter als serifenlose Schriften und laden dadurch dazu ein, sie etwas länger und aufmerksamer zu betrachten. In Fließtexten gelten Serifenschriften noch immer als „besser lesbar“ als serifenlose – daher werden sie noch immer (ganz im Sinne Stanley Morisons) viel im klassischen Zeitungsdruck eingesetzt. Gerade im digitalen Zeitalter, in dem man die Darstellungsgröße von Schrift nicht immer kontrollieren kann, werden aber mehr und mehr serifenlose Schriften für Mengentexte eingesetzt. Denn in sehr kleiner Schriftgröße sind Serifenschriften oft schwerer zu entziffern.

Ideale „Partner“ für Serifenschriften sind sehr klare Serifenlose (um dem Branding Modernität zu geben) oder Script-Schriften (für einen etwas feminineren Eindruck). Außerdem können weitere Branding-Elemente gut mit stylistischen Varianten der Hauptschrift (also Bold, Italic etc.) kombiniert werden. Da in der Kombination von Schriften der Grundsatz gilt, dass ein ausreichender Kontrast vorhanden sein muss, sind Slab-Schriften in Verbindung mit Serifenschriften keine gute Wahl – sie sind sich schlichtweg zu ähnlich und wirken dadurch „unaufgeräumt“.

Fazit

Serifenschriften machen eine Marke hochwertig und schaffen Vetrauen, vermitteln aber auch Wärme und Zugänglichkeit. Dabei kann die Aussage durch den Abstand zwischen den Buchstaben, den Kontrast der Strichstärken, Groß- bzw. Kleinbuchstaben und den Einsatz von Italic- oder Oblique-Schriftschnitten noch stark beeinflusst werden. Dazu gibt es dann aber nochmal einen extra Post am Ende dieser Serie.

Viel Spaß beim Gestalten!

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